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Weihnachten und die große Eskalation – bevor der innere Christbaum in Flammen steht…

Eine Frau mit Weihnachtsmütze sitzt auf einer Treppe und hält sich die Hände vors Gesicht. (c) AdobeStock

Weihnachten gilt offiziell als das »Fest der Liebe«. Inoffiziell ist es aber das weltweit am besten getarnte Krisenbeschleunigungsprogramm für Familie und Freunde. Rund um die Weihnachtsfeiertage gelangen viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen an ihre physischen und psychischen Grenzen. Denn kaum hängen Lichterketten, häufen sich private, familiäre und berufliche Dramen mit der Zuverlässigkeit eines Adventskalenders. Jeden Tag ein neues Türchen, dahinter wahlweise Streit, Hektik und Stress, Überforderung oder leise Verzweiflung.

Das ist kein persönliches Versagen. Das ist System.


Warum ausgerechnet Weihnachten alles schlimmer macht

Zum Jahresende treffen mehrere ungünstige Faktoren frontal aufeinander.

Erstens: Erwartungen
Weihnachten soll harmonisch sein, tiefgründig, verbindend, heilend, besinnlich. Alte Konflikte sollen sich bitte spontan auflösen, nur weil man denselben Braten teilt. Spoiler: Tun sie nicht.

Zweitens: Zeitdruck
Projekte müssen fertig werden, Jahresabschlüsse wollen Zahlen sehen, Kolleginnen und Kollegen entwickeln plötzlich den Charme nervöser Frettchen. Gleichzeitig soll man entspannt Geschenke besorgen, Termine koordinieren und dabei innerlich erfüllt wirken.

Drittens: Nähe
Viel Nähe. Zu Menschen, die man liebt, erträgt oder aus Gewohnheit seit Jahrzehnten trifft. Alte Rollen werden reaktiviert wie schlecht archivierte Akten: das brave Kind, der ewige Rebell, die stille Vermittlerin. Niemand hat sie bestellt, aber sie sind alle da.

Viertens: Bilanzziehen
Weihnachten ist der emotionale Jahresabschluss. Man schaut zurück und stellt fest, dass nicht alles so gelaufen ist wie geplant. Ziele verpasst, Beziehungen angespannt, Energie auf Reserve. Das tut weh, vor allem im Lichterkettenlicht.

Eine Frau in der Küche hält sich vor Stress die Hände an den Kopf.
(c) AdobeStock
Weihnachten wird zwar die „stillste Zeit des Jahres“ genannt, allerdings schaut die Realität oft anders aus…

Typische Eskalationszonen

Familie
Unausgesprochene Konflikte, die monatelang erfolgreich ignoriert wurden, drängen sich zwischen Erdäpfelsalat und Nachspeise in den Vordergrund. Dazu kommen Alkohol, Müdigkeit und das kollektive Schweigen über das Offensichtliche.

Partnerschaft
Zeit miteinander klingt gut, bis man merkt, dass Stress nicht automatisch verschwindet, nur weil man Urlaub hat und selbigen miteinander verbringt. Unterschiedliche Erwartungen an „besinnlich“ führen schnell zu Diskussionen über Grundsätzliches.

Job
Der Dezember ist beruflich oft ein absurdes Finale. Deadlines, die niemand mehr realistisch findet, Entscheidungen unter Zeitdruck und die leise Angst, im neuen Jahr genau da weiterzumachen, wo man eigentlich raus wollte.

Was hilft, damit es nicht explodiert

Erwartungen radikal senken
Weihnachten muss nicht magisch sein. Es reicht, wenn es halbwegs erträglich ist. Wer weniger erwartet, hat mehr Luft. Harmonie ist kein Pflichtprogramm.

Pausen verteidigen
Zeit für sich ist kein Egoismus, sondern Wartung. Spaziergänge, Rückzugsorte, klare Grenzen. Wer permanent verfügbar ist, wird irgendwann explosiv.

Konflikte nicht „für später“ stapeln
Auf schwelende Familienkonflikte und persönliche Krisensituationen wirken die Tage um Weihnachten wie Brandbeschleuniger. Wenn etwas drückt, drückt es auch zu Weihnachten. Kleine, ehrliche Gespräche »VOR« den Feiertagen sind oft weniger schmerzhaft als der große Knall unterm Baum.

Rollen bewusst verlassen
Man darf erwachsen reagieren, auch wenn das Umfeld nostalgisch anderes erwartet. Niemand ist verpflichtet, alte Muster weiterzuspielen, nur weil es Tradition ist.

Alkohol nicht als Konfliktmanager einsetzen
Er ist dafür bekannt, Probleme nicht zu lösen, sondern sie lauter und emotionaler zu machen. Überraschend konsequent. Seit Jahrzehnten.

Berufliche Grenzen ziehen
Nicht jedes Mail im Dezember ist dringend. Nicht jede Aufgabe muss noch „schnell“ erledigt werden. Wer hier keine Linie zieht, zahlt emotional drauf.

Hilfe annehmen
Gespräche mit Freundinnen und Freunden, professionelle Unterstützung oder einfach ehrliches Aussprechen dessen, was schwer ist. Krisen werden kleiner, wenn man sie teilt.

Eine Familie am Tisch zu Weihnachten beim abbrennen von Wunderkerzen.
(c) AdobeStock
Damit das Familienfest zu Weihnachten nicht aus dem Ruder läuft, hilft es, ein paar „Grundregeln“ zu beachten.

Und wenn es trotzdem schwierig bleibt

Manche Weihnachten sind einfach anstrengend. Punkt. Das sagt nichts über den eigenen Wert, die Beziehungsfähigkeit oder die Zukunft aus. Es ist erlaubt, diese Zeit nicht zu mögen. Es ist erlaubt, müde zu sein. Es ist erlaubt, nicht zu funktionieren.

Vielleicht ist der wichtigste Gedanke: Weihnachten ist keine Prüfung für ein gelungenes Leben. Es sind nur ein paar Tage im Kalender, aufgeladen mit viel zu viel Bedeutung.

Wer es schafft, den Druck etwas rauszunehmen, ehrlich zu sich zu sein und Eskalationen nicht als persönliches Scheitern zu werten, hat schon viel gewonnen. Nicht perfekt. Aber stabil genug.

Und manchmal ist genau das das größte Geschenk.

Telefonseelsorge & Rat auf Draht

Für Menschen in Krisensituationen gibt es zahlreiche Angebote für Austausch, Vernetzung und Beratung. In akuten Notfällen – auch an Feiertagen oder Wochenenden – ist die Hotline der Telefonseelsorge österreichweit 24 Stunden pro Tag unter der Notrufnummer 142 erreichbar. Unter der Nummer 147 finden Kinder und Jugendliche sowie Eltern und Erziehungsberechtigte zu jeder Tageszeit „Rat auf Draht“.

(AdobeStock)

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